“Sabine, hast du schon Zähne geputzt?”

So ungefähr fühlt es sich an, mein altes Kinderzimmer zu betreten, wenn ich meine Eltern alle paar Monate mal besuche. Plötzlich bin ich wieder 13. Und tierisch genervt davon, dass meine Eltern mich nicht für voll nehmen. Ich fühle mich… zurückgeworfen und überwältigt.

Versteht mich nicht falsch – ich freue mich auf die seltenen Wochenenden, an denen meine Mama mich mit meinem Lieblingsessen verwöhnt und ich zwischen meinen Eltern und meiner Schwester auf dem Sofa sitze und den Tatort anschaue, den ich eigentlich total öde finde. Aber da ist eben nicht nur das Bett, in das ich alle paar Monate mal wieder kriechen möchte und das meine Eltern nur zu gerne als (mein) Gästebett behalten. Mein Kinder- und Jugendzimmer quillt über mit Krempel der Vergangenheit. Alte Kleidung, die ganz gut da hängt, weil ich für meinen Wochenendbesuch dann nicht so viel einpacken muss. 100 Bücher, die ich bestimmt irgendwann nach Hamburg holen werde. 50 DVDs, die ein ganzes Regal voll machen und die ich auch “gerade nicht mitnehmen kann”. 5 Kartons im Keller mit noch mehr Zeug. Ehrlich? Bei dem Gedanken, all das irgendwann “in eine richtige Wohnung” mitnehmen zu müssen, wird mir einfach nur schlecht. Ich habe mich nicht umsonst für den Minimalismus entschieden und fühle mich seither befreit – ich will nie wieder so viel Zeug besitzen.

Also Schluss damit! Auf dem Dachboden meiner Großeltern liegen, vermutlich aus ähnlichen Gründen, noch immer die Schulbücher meiner Mutter. Genau das – oder Schlimmeres – will ich meinen Eltern nicht antun. Sie haben eine 4-Zimmer-Wohnung, keine Villa. Ich habe dieses Zimmer 20 Jahre lang kostenlos bewohnt, belebt und es dann einfach unbrauchbar zurückgelassen. Fast fünf Jahre später ist es Zeit, es ihnen zurück zu geben. Als ich das letzte Mal zuhause war, nutzte ich jede freie Minute zwischen den Treffen mit alten Freunden und dem Tatortabend, um sämtlichen Krempel in Mülltüten, Recycling- oder Spendekartons zu stopfen.

Warum es uns so schwer fällt, Gegenstände aus unserer Jugend wegzuwerfen

Obwohl ich mich schon länger mit dem Thema beschäftige und es mir normalerweise richtig Spaß macht, auszumisten, fiel mir der Minimalismus im Jugendzimmer erst einmal schwer. Einerseits fühle ich mich immer wie ein Kind, wenn ich dort bin, und ich wage zu behaupten, dass das ab einem gewissen Zeitpunkt kein besonders gutes Gefühl mehr ist. Andererseits verbinde ich eine alte Freundin mit dem hässlichen grauen Bolero, eine verrückte Party mit den furchtbar hohen Hacken die ich nie wieder tragen würde, und viele witzige Stunden mit meinen unzähligen DVDs.

jugendbettjugendzimmer_ausmisten

Das sind doch alles Erinnerungen!

Jein.
1. Das meiste ist wirklich nur Krempel. Das Lateinbuch mit den ausgefransten Ecken ist keine Erinnerung (zumindest keine schöne).
2. Du wirst dich auch so an deine Jugend erinnern. Oder war sie ein Blank Space in deinem Kopf, solange du nicht zuhause warst?
3. Und doch gibt es sie – die paar wenigen sentimentalen Gegenstände. Ich bin kein Hardliner und würde niemandem empfehlen, alles wegzuwerfen. Ich kann mich auch an viele lustige Momente erst wieder erinnern, wenn ich meine alten, mit Bildchen beklebten Hausaufgabenhefte aufschlage und die endlosen Zitate und sonstigen Kritzeleien darin lese.

Aber all das, was ich nicht sofort mitnehmen würde, kann auch sofort weg. Auch hier benutzte ich wieder die “Does it spark joy?”- KonMari Methode, dieses Mal jedoch mit dem Zusatz “Ist es so nützlich/schön/…, dass ich es auch in Hamburg haben wollte?” Was am Ende blieb, waren nur ein paar Dinge: Ein bisschen Kleidung, meine absoluten Lieblingsbücher, 5 Hausaufgabenhefte und 5 Fotoalben. Die sind für mich kein Ballast, sondern kleine Schätze. Ein Regal voll mittelmäßiger Bücher und ein Schrank voll ungeliebter Kleidung? Reine Platzverschwendung.

Minimalismus im Jugendzimmer

Das fliegt raus:
2 große Müllsäcke: Kosmetika, Deko, CDs, …
15 Kilo Papiermüll (Magazine, Schulmitschriften, veraltete Schulbücher, ausgedruckte Unilektüre)
5 Tüten Recycling
10 Tüten Kleiderspende (Second Hand Laden einer Freundin meiner Eltern)
1 Karton Bücherspende
1 Buchgeschenk für unsere kleine Nachbarin
1 Karton Bücher- und DVD-Verkauf (= 40€)

Tipp: Momox bezahlt relativ viel für Unterrichtsmaterial wie Abiturvorbereitung und Unilektüre. Logisch – die Sachen sind auch gebraucht sehr gefragt, da es oft teure Bücher sind und man sie als Schüler oder Student nicht zum Vergnügen kauft. Für Wörterbücher und Co bekommt man hingegen nur noch ein paar Cent. Da ich nicht davon ausgehe, dass sich solche Bücher irgendwo sonst toll verkaufen lassen, habe ich sie trotzdem an Momox weitergegeben. Romane kann man leider total vergessen – die spende ich dann lieber an einen sozialen Buchhandel.

Das nehme ich direkt mit:
Harry Potter DVDs
Sommerkleidung

Das hole ich mir wirklich, sobald Platz ist:
Küchenutensilien
Vasen
Fotoalben
Absolute Lieblingsbücher
Lieblingsserien auf DVD

Das will ich noch digitalisieren, bevor ich es wegwerfe:
10 CDs
15 DVDs

jugendzimmer_vorher_nachher

Wie kommt Mama eigentlich damit klar, wenn ich mein Jugendzimmer räume?

Marie Kondo empfiehlt an einer Stelle in ihrem Buch, die Familie nicht am Ausmistprozess teilhaben zu lassen, weil das Wegwerfen von “Erinnerungen” sie verletzen könnte oder sie dazu animieren könnte, den Krempel für sich zu beanspruchen und so nur eine Verlagerung innerhalb der Wohnung zu schaffen. Ich finde, man darf seiner Familie ruhig ein bisschen mehr zutrauen. Heimlich alles wegzuwerfen finde ich viel schwieriger, als darüber zu sprechen. Zugegeben – meine Mama hat glaube ich auch ein wenig geschluckt, als ich anfing, ganze Säcke aus meinem Zimmer zu räumen. Als ich ihr erklärte, wieso, war ihre erste Reaktion natürlich auch: “Aber du musst das nicht machen, es ist und bleibt doch dein Zimmer!”. Als sie mir dann ein wenig zuschaute und ich ihr noch mehr dazu erklärte, auch, warum ich kein Fast Fashion mehr kaufen möchte, wurde es jedoch zu einem interessanten, erwachsenen Gespräch mit viel Verständnis. Am Ende war sie doch froh, ein neues Regal für ihre Nähsachen zu haben. Und nebenbei motiviert, endlich auch ihren eigenen Kellerraum anzupacken.

Und – schon Pläne für deinen nächsten Heimatbesuch?