Es ist noch nicht lange her, da hatte ich eine kurze Krise: Im April fiel mir in meiner Eimsbüttler Residenz die Decke auf den Kopf. Seit einem dreiviertel Jahr lebte ich nun in Hamburg. Ich war bewusst mit wenig Besitz hier eingezogen – nicht zuletzt, weil ich ein 14 Quadratmeter großes WG-Zimmer bewohne. Irgendwann holte ich die Herbstkleidung von zuhause nach, dann kamen die dicken Wintermäntel – einer von zuhause, einer neu. Ich kaufte Deko, um es mir noch schöner zu machen. Eine Zeit lang bestellte ich locker ein Mal im Monat bei H&M. Nur Basics, und vielleicht noch dieses eine hier. Und na gut, das noch. Was als “Nach 3 Monaten aus dem Koffer erlaube ich mir jetzt wieder ein bisschen mehr” begann, wurde schnell zur Routine. Und irgendwann fühlte ich mich furchtbar.

Weil ich es hasse, wenn mein Zimmer so voll ist, dass jede Verstauungsmöglichkeit bis zum letzten Zentimeter ausgenutzt ist. Weil ich nichts mehr besitzen will, das nur Platz einnimmt. Und zuletzt auch, weil ich mich endlich gegen den Fast Fashion Wahnsinn entschieden habe. Ich will so gar nicht leben, und doch passiert es mir immer wieder, dass ich zu viel anhäufe. Ich beschloss, meinen Besitz dieses Mal gnadenlos auf das zu reduzieren, was ich wirklich noch haben wollte. Und mistete aus.

BEFORE/AFTER:
minimalistisches Zimmer KonMari Methode - beforeminimalistisches Zimmer KonMari Methode - after

Wer einmal die Entscheidung getroffen hat, dass er reduzierter leben will, wird wahrscheinlich ganz instinktiv zunächst genau das tun wollen: Reduzieren – und zwar da wo man es sehen kann, beim materiellen Besitz. Während ich nicht glaube, dass man aus Prinzip 3/4 seiner Sachen wegschmeißen muss, um ein richtiger Minimalist zu sein, denke ich trotzdem, dass ein erstes großes, systematisches Aufräumen dabei helfen kann, zu erkennen, was man wirklich braucht und was nicht – um dann auch in anderen Bereichen zu reduzieren.

Heute will ich euch 3 verschiedene Ausmiststrategien vorstellen – und euch erzählen, welche für mich am besten funktioniert.

Die KonMari Methode: Does it spark joy?

Der aktuell bekannteste Minimalismuseinstieg ist die KonMari Methode aus Marie Kondos Buch “The Life-Changing Magic of Tidying”. 2 Ideen sind dabei wichtig: 1. Sortiere nach Kategorie statt nach Schublade, Möbelstück oder Raum. Gegenstände wie Bücher oder Schuhe sind wahrscheinlich über mehrere Orte verteilt und wenn du nach Orten vorgehst, kannst du den Bestand nicht so gut überblicken. Diese Vorgehensweise finde ich sehr gut und habe ich genauso übernommen: Alle Schuhe auf einen Haufen werfen und dann weiter mit Schritt 2: Nimm jedes Teil in die Hand und frage dich, ob du Freude daran hast. Wenn nicht, kommt es sofort weg. Wenn ja, weise ihm einen festen Platz in deiner Wohnung zu und du musst nie wieder aufräumen. Auch das ist irgendwie eine schöne Denkweise, die viel Für, aber auch ein bisschen Wider hat. Ich finde die Frage nach “Joy” perfekt, um ein Bauchgefühl zu provozieren. Bei zwei oder drei Paar meiner Schuhe habe ich mich in dem Moment noch einmal richtig gefreut, dass ich sie gekauft habe, weil ich sie so gerne mag. Andererseits habe ich mich zusätzlich auch immer gefragt: “Brauche ich das?” Ein altes Paar Badelatschen lässt mich nicht gerade tanzen, aber eines braucht man eben und ich kann nicht alles wegwerfen, das mir nicht mehr gefällt, weil ich solche Sachen dann bald ersetzen müsste.

BEFORE:
minimalistisches Zimmer KonMari Methode - beforeminimalistisches Zimmer KonMari Methode - before

AFTER:
minimalistisches Zimmer KonMari Methode - afterminimalistisches Zimmer KonMari Methode - after

Wenn man Marie Kondos Buch liest, hat man den Eindruck, dass sie das sofortige Wegwerfen forciert. Das soll vermeiden, dass man in Versuchung gerät, und außerdem andere nicht mit dem überflüssigen Zeug belasten. Verständlich – aber auch verschwenderisch und nicht besonders umweltfreundlich. Ich versuche, meinen Ballast nicht einfach nur loszuwerden, sondern ihn weiter zu verwerten. Wenn jemand sich entscheidet, mir etwas abzukaufen, sage ich nicht Nein, denn eine kleine Finanzspritze tut mir alles andere als weh. Sachen, die zu alt sind oder bei denen sich der Aufwand nicht lohnt, werden verschenkt oder gespendet. Leider hat die Flüchtlingshilfe Hamburg aktuell einen Stop für Frauenkleidung. Liebe Männer, die diesen Artikel lesen: Eure Kleidung wird dort nach wie vor sehr gebraucht, vor allem in kleinen Größen.

Der Ur-Minimalismus: Alles raus

Viele Minimalisten, die sich schon vor dem aktuell beginnenden Trend so nannten, begannen ihre Reise wirklich radikal. Sie räumen ALLES aus dem Zimmer oder der Wohnung und holen sich in den kommenden Tagen nur das zurück, das sie in dem Moment benutzen wollen, also das, woran sie sich auch erinnern. Das garantiert, dass es sich um Dinge handelt, die man auch wirklich braucht. Das Ziel ist es, nur noch 100 oder sogar weniger Gegenstände zu besitzen.

Davon abgesehen, dass ich diesen Stil schwer praktizieren kann, da ich nur ein Zimmer zur Verfügung habe, ist er mir im Moment noch deutlich zu streng. Ich mag meine Sachen gerne. Ich will mich weder an eine Maximalanzahl binden, noch will ich eine Kunst daraus machen, mit dem Allermindesten auszukommen. Klar reichen 2 Hosen und 5 Oberteile. Aber das macht mir keinen Spaß. Was mir an der Methode dennoch sehr gut gefällt, ist die Idee “Hol dir was du brauchst” – ich war beim Ausmisten sehr hart und habe auch Sachen weggelegt, bei denen ich mir nicht sofort sicher war. Dadurch entstand ein Karton, der seit drei Wochen vor dem Zimmer steht und aus dem ich Sachen nach und nach verkaufe oder verschenke. Nur, wenn mir explizit etwas einfällt, das ich brauche, kommt es wieder raus. Bisher ist mir das nur ein Mal passiert: Ich habe festgestellt, dass ich zwar keine bunten Shirts mehr mag, aber für den Sommer keine kurzen Schlafoberteile mehr habe. Also habe ich 2 knallige Shirts zurückgeholt – für die Nacht sind sie völlig in Ordnung und ich muss nichts Neues kaufen.

Der Rhythmus: Trenne dich jeden Tag von einer Sache

Ein Gegenpol zur KonMari Methode und der Urmethode des Minimalismus sind Ausmistzyklen wie “lose one thing a day”. Auch das habe ich schon ausprobiert – 2013 in meinem Studentenzimmer mit einem Projekt, das ich damals sogar bei Instagram geteilt habe. Was soll ich sagen? Es hat durchaus funktioniert, jeden Tag daran zu denken, und es ist ein sanfter Einstieg. Aber ich gebe Marie Kondo hier recht: Solche Strategien sind meistens nicht besonders effektiv, weil eine Sache am Tag nicht besonders viel ist, wenn man schon viel angesammelt hat, und weil dieses stückweise Rauswerfen einfach so wenig verändert, dass ich dabei auch kein besonders befreiendes Gefühl hatte. Eine Sache am Tag ist für mich ein kleiner Kampf gegen Windmühlen – denn die Chance, an dem Tag auch eine klitzekleine neue Sache mit nach Hause zu nehmen, ist nicht so gering. Zudem ist es ein Wegwerfen um des Wegwerfens Willen und dadurch verkehrt – die Frage sollte letztendlich nicht sein “Was kann ich loswerden”, sondern “Was brauche ich?”.

Mein Weg zur minimalistischen Wohnung: Methodenmix

Mit meinem persönlichen Methodenmix aus der KonMari Methode, der Grundidee des Minimalismus und meinem eigenen Bauchgefühl habe ich innerhalb von zwei Wochen meinen kompletten Besitz in WG-Zimmer, Flur und Küche umgestülpt. Ich trennte mich von 4 Mülltüten Papier, Deko und Krempel, knapp der Hälfte meiner Schuhe und etwa einem Drittel meiner Kleidung. Was der Optik zusätzlich hilft, ist, saisonal nicht benötigte Sachen an anderen Orten zu verstauen, wie zum Beispiel unter dem Bett. Hier muss ich allerdings aufpassen, dass nichts in der Verstauung landet, das ich eigentlich gar nicht mehr brauche. Eine weitere kluge Bemerkung von Marie Kondo fand ich nämlich, dass Verstauungsprofis oft das Gegenteil von Minimalisten sind. Aufräumen und Ausmisten sind zwei grundverschiedene Dinge, die immer wieder verwechselt werden. Wer alle ausgetüftelten Schrankkombinationen bis zum letzten Zentimeter vollpackt, so dass nach außen alles sauber aussieht, aber drinnen trotzdem eine Menge Zeug anhäuft, das er nicht braucht, hat sich am Ende nicht wirklich selbst geholfen. Für mich heißt das, auch mal ein Möbelstück oder eine andere größere Installation gehen zu lassen.

“One can furnish a home very luxuriously by taking out furniture rather than putting it in.” – Francis Jourdain

BEFORE/AFTER:
minimalistisches Zimmer KonMari Methode - beforeminimalistisches Zimmer KonMari Methode - after

AFTER:
minimalistisches Zimmer KonMari Methode - after

Ich trennte mich von meiner XXL Pinnwand, meinem Hocker und meinem Regal über dem Schreibtisch. Je weniger (versteckter) Stauraum, desto weniger Krempel. So konnte ich meinen Schreibtisch wieder ans Fenster rücken und habe nun das Zimmer, das ich mir wünsche. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Ich fühle mich endlich wieder wohl!

Abschließend kann ich sagen, dass ich vor allem eines bei mir selbst beobachte: Die Reise endet nicht hier. Nur, weil ich ein Mal (oder gar mehrmals) radikal ausgemistet habe, bin ich nicht für alle Zeit gefeit vor unnötigem Konsum. Obwohl ich nun schon seit beinahe zwei Jahren auf diesem Weg bin (ich habe ihn bisher nur nicht so genannt), gibt es immer wieder Momente, in denen mich das Gefühl packt, dass ich es – wieder einmal – übertrieben habe. Und das ist auch gar nicht schlimm. Ich nehme mir einen Fehlkauf oder einen Geschmacksveränderung eigentlich nie übel, denn es wird sich nie vermeiden lassen, dass etwas Gekauftes anders ist als man es erwartet hat oder man es irgendwann nicht mehr mag oder braucht, und dass dementsprechend ein paar Sachen in der sprichwörtlichen Ecke liegen. Mir ist es nur wichtig, mir dann wieder Freiräume zu schaffen – im metaphorischen sowie im wörtlichen Sinne.

Minimalismus ist für mich am Ende sehr viel mehr als Gegenstände reduzieren, und trotzdem glaube ich, dass man so am leichtesten einsteigen kann. Hat man dann ein Mal ausgemistet und fühlt sich wohl mit wenig, kann man umso effektiver daran arbeiten, sein Kaufverhalten dementsprechend zu ändern. Dazu im nächsten Teil mehr!

Vielleicht willst du es ja auch mal ausprobieren?