Minimalism: A Documentary.

Sie sind die Stars der Szene: Ryan Nicodemus und Joshua Fields Millburn sind nicht nur irgendwelche Typen, die wenig besitzen, sie nennen sich selbst einfach mal ganz frech “THE Minimalists”. Unter diesem Namen inspirieren sie seit 2010 auch andere, sich auf die Nichtdinge im Leben zu fokussieren. “Joshua & Ryan help more than 20 million people live meaningful lives with less through their website, books, podcast, and documentary.” Das ist die Beschreibung der Facebook Fanpage, die aktuell 360K Likes zählt. Von der ersten Buchtour über TED Talks bis zu einem Film, der nun auch weltweit auf Netflix zu sehen ist: Es ist immer dieselbe Message in verschiedenen Facetten, die inzwischen ganze Schwärme zu ihren Veranstaltungen zieht. Less is more. Less is now. 2017 kommt in der breiten Masse das an, was längst offensichtlich sein sollte. Die Dokumentation fasst zusammen, warum.
Eins mag ich persönlich besonders an The Minimalists: Die beiden reden immer wieder davon, dass ein How-To nicht ausreicht. Es geht ihnen nicht darum, Leuten Regeln an die Hand zu geben, so dass diese einem strikten Ablauf folgen; einer Konsumdiät, wenn man so will. Immer wieder geht es stattdessen um das WHY. Warum tut es allgemein gut, sich für weniger zu entscheiden, und wie bereichert das unser Leben in anderen Bereichen? Welchen neuen Fokus bringt der Minimalismus dir ganz persönlich? Das ist es, worum sich auch Minimalism: A Documentary dreht.
Es kommt schon ein bisschen religiös daher, wie die beiden ihre Lebensgeschichte erzählen und sich dann zum wiederholten Mal auf die Reise machen, um anderen die frohe Botschaft zu überbringen – dieses Mal in Form der Documentary Tour. Wie so oft sind es mehr oder weniger tiefe Einschnitte im Leben, die sie dazu bewegt haben, es zu überdenken und alles komplett umzuwerfen. Früh wird klar: Minimalismus gibt dir die Möglichkeit, (wieder) glücklich zu sein. Aber ist ein Leben mit weniger tatsächlich der Heilsbringer?
Im Film werden abwechselnd Experten, Businessfreunde und Anhänger der Minimalismus-Bewegung gezeigt. Direkt zu Beginn macht ein Neurowissenschaftler eine Welt auf, in der es um das Immermehr geht: Wie paradox ist es, dass es dem Westen so gut geht wie noch nie zuvor in der Geschichte – und wir trotzdem nie zufrieden sind mit dem, was wir besitzen, weil wir angeblich immer das nächste brauchen? Er definiert (exzessiven) Konsum als eine Sucht, eine biologisch bedingte, verirrte Suche nach einer endgültigen Zufriedenheit, die es nie geben wird.
Minimalism: A Documentary erzählt von Menschen, die es geschafft haben, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Es sprechen eine Frau, die in einem Tiny House lebt, ein Architekt, der eben solche Häuser entwirft, ein Zen Coach, ein Digital Nomad der nur noch den Inhalt seines Rucksacks besitzt, ein ehemaliger Wall Street Broker, der ganz oben ankam und dort bemerkte, dass Erfolg eine Falle sein kann, wenn er für nichts steht, das für die Person, die ihn hat, wirklich zählt. Die Doku traut sich sogar an das Thema Krankheit: Eine Frau erzählt, wie das Reduzieren von Alltagsgegenständen ihr so viel Stress genommen hat, dass sie besser mit ihrer MS zurecht kommt.
Man spürt deutlich: Es geht gar nicht so sehr um das Ausmisten selbst oder um das Abzählen der Dinge, die man besitzt, sondern darum, dass man durch dieses Loslassen von materiellen Werten auch dazu kommt, andere anerzogene Glaubenssätze kräftig durchzuschütteln. Nicht zuletzt dadurch, dass, wenn man weniger Geld für materiellen Besitz “braucht”, plötzlich viel mehr Wahlmöglichkeiten für ein sehr viel selbstbestimmteres Leben entstehen. Und das ist wahr – ob man es nun nahezu religiös oder völlig pragmatisch sieht.
Teilweise ist da vielleicht ein bisschen viel Pathos, zum Beispiel als Joshua mit einem IKEA Katalog in der Wüste steht und einen dramatisch untermalten Monolog zum Allesbrauchen führt. Aber vielleicht sage ich das auch als jemand, der ein bisschen vorbereiteter kommt als die Zielgruppe, die diesen Film vor allem sehen sollte, und der seine 1-Zimmer-Wohnung inzwischen ganz selbstverständlich anders einrichtet als der Durchschnitt. Verschleißmöbel, Trendkleidung, Hype-Elektronik: Auch Apple-Kunden kriegen in der Dokumentation kurz ihr Fett weg. Die Beispiele fühlen sich an wie Klischees, wenn man sich schon länger mit dem Thema beschäftigt, und witzig ist auch, dass im beinahe gleichen Atemzug Leute (Minimalisten!) mit Macbooks gezeigt werden. Auch geht es in der Doku fast ausschließlich um den persönlichen Benefit – ich hätte mir eine Ausführung der klugen Bemerkung “What makes us unhappy, also destroys our natural habitat” gewünscht. Falsch sind die Feststellungen deshalb trotzdem nicht. Im Gegenteil. The Minimalists ordnen das westliche Konsumverhalten und die daraus folgenden Probleme für den Einzelnen schlüssig ein – und präsentieren einen Lösungsansatz, der inspiriert.
Habt ihr die Dokumentation schon gesehen? Was denkt ihr darüber? Welche Geschichte hat euch am besten gefallen?
9 Comments
Liebe Sabine,
den Film habe ich leider noch nicht gesehen, aber er steht schon seit langem auf meiner To-Watch-Liste – und gerade habe ich den Vorsatz erneuert, ihn definitiv möglichst bald anzuschauen. Deine Rezension klingt nämlich sehr verlockend – und der Film scheint genau das zu erfüllen, was ich mir von ihm verspreche.
Ich glaube, pathetisch sind solche Dokus ganz gerne mal – das habe ich auch in einigen veganen Filmen oder generell solchen, die Konsumkritik oder Umweltthemen in den Fokus setzen, ebenfalls öfter schon gesehen. Aber ich denke, wenn sich das in Grenzen hält und auf nachvollziehbare Fakten (wobei das ja auch wieder ein Terminus ist, den es zu untersuchen gälte) stützt, ist das durchaus legitim, erreicht man mit ein bisschen Theatralik womöglich doch ein bisschen mehr Menschen und bei diesen vielleicht eher, dass gründlicher nachgedacht wird. Das ist ja auch immer eine Sache von stark subjektiver Bewertung – gerade, wenn es um solche empfindlichen Themen wie Konsum geht, das ja auch irgendwo an die Substanz dessen geht, wie wir uns definieren (wollen).
Was ich besonders gut finde, ist der Punkt, den du auch herausgehoben hast: dass es neben dem Wie auch ganz stark um das Warum gehen muss – das ist mir auch stets sehr wichtig und ich freue mich bereits auf die Eindrücke im Film dazu.
P.S.: Mein persönlicher Wohntraum? Entweder eine schöne Altbauwohnung (nicht allzu groß, bitte) oder ein Tiny House. <3
Liebe Grüße
Jenni
Ich denke im Moment auch: WENN ich mal was Eigenes haben sollte, dann auf keinen Fall etwas Großes. Eher auch so eine überschaubare Wohnung oder ein selbstgebautes, sehr kleines Haus (ob es jetzt echt ein Tiny House wäre, hängt dann wohl von der Familiensituation ab).
Den Satz mit der Selbstdefinition fand ich übrigens mal wieder besonders klug 😉
xx
Der Film steht seit Release auch schon auf meiner Watchlist. Schön, dass Netflix Deutschland ihn nun aufgenommen hat.
Ich habe eine Weile die Facebook Page der Minimalists verfolgt. Allerdings fand ich dann doch, dass sie im Prinzip jeden Tag das gleiche predigen. Und vor allem sind mir die Fans zuwider, die jeden Zweizeiler als Offenbarung feiern.
Generell mag ich allerdings die Botschaft der Beiden, ich finde nur, Personenkult und Hypes haben im Minimalismus nichts zu suchen 🙂
Liebe Jana,
die Einstellung mag ich! Ich finde auch bei den Podcasts, dass recht viel wiederholt wird (so wahr es auch ist) und deine Gedanken zum “Kult” kann ich gut nachvollziehen. Ich glaube, sowas wird in Amerika auch stärker zelebriert als hier…
xx
Hallo,
Ich liege gerade auf der Couch und schau mir den Film an. Ich bin ein bisschen hin und her gerissen. Ich finde schon Ideen für mich und fühle mich auch davon angesprochen. ABER. es werden unglaublich privilegierte Menschen gezeigt, die sich ein minimalistisches Leben auch leisten können. Und das auf mehreren ebenen: überwiegend männlich, durchgängig weiß, sehr gebildet, heterosexuell und finanziell abgesichert. Das finde ich äußerst problematisch weil es ganz viele Menschen ausschließt, die – plakativ gesagt – auch auf 30 m2 leben aber ohne designausstattung sondern weil sie es sich anders nicht leisten können. Ich finde die selbstinszenierung auch ziemlich schwierig. Die inszenieren sich als diejenigen, die es wissen. Umweltfragen werden nahezu gar nicht angesprochen. Also so wirklich happy bin ich mit den Film ja nicht…
Liebe Grüße Ulli
Hallo,
ich habe die Doku auch gesehen und weiß auf dem Thema echt einiges. Mich freut, dass sowas auf netflix zu sehen ist, ABER
mir waren zu viele Wiederholungen dabei und irgendwie stand mir das Leben dieser Typen zu sehr im Vordergrund.
Der Gedanke ist top, die Ausführung verbesserungsfähig…
PS: Ich mag deinen Blog so unglaublich gern 🙂
Ich habe es noch nicht gesehen, aber jetzt mal auf meine Liste gesetzt. Auch wenn jeder eine andere Meinung zu diesem Thema hat und es manchmal extremer betreibt als der andere, finde ich es dennoch immer wieder interessant, neue Einstellungen zu diesem Thema zu lesen!