Zugegeben – ich bin mit Tieren nicht besonders geschickt. Jedes Mal, wenn ein Hund kläfft, und sei es noch so erwartbar, zucke ich zusammen. Beim Schweinefüttern wurde mir im Herbst beinahe ein Finger abgebissen, nach mehreren Unfällen und einer wirklich bedrohlichen Situation mit einem verstörten Pferd habe ich Schiss vorm Reiten und kleine Lämmer rennen vor mir weg, wenn ich mit tollpatschigen Bewegungen versuche, sie wenigstens mit der Kamera einzufangen. Aber ich mag Tiere. Ehrlich! Und immerhin habe ich seit drei Monaten keines gegessen.

Fleischfrei seit 2017/3

Euer letzter Stand war, dass ich meinen Fleischkonsum drastisch zurückgefahren habe – vom beinahe täglichen Nebenbeikonsum, wie er in Deutschland noch immer üblich ist, zum bewussten Genuss ein Mal die Woche. Auch andere Tierprodukte wie Milch, Käse und Eier konsumiere ich seither reduzierter und bewusster. Der Umwelt und den Tieren zuliebe. Was soll ich sagen? Die Sache mit dem Fleisch fiel mir nach einem halben Jahr so leicht, dass ich es irgendwann einfach ganz bleiben ließ. Seit Anfang März ernähre ich mich fleischfrei. Ich esse vegetarisch.

Und ja, ich bin stolz darauf!

Ich bin nicht stolz, weil ich mich jetzt für einen moralisch überlegenen Menschen halte, der es irgendwie geschafft hat, den irdischen Gelüsten zu entsagen (oh please, fragt mal die Schokolade). Sondern, weil ich einen persönlichen Vorsatz eingehalten habe – und zwar weit über meine eigenen Erwartungen und Ansprüche hinaus. Die Idee war nie “drei Monate vegetarisch leben” oder gar “Vegetarierin werden”, sie war immer nur “erstmal kein Fleisch essen und dann mal schauen”. Normalerweise bin ich ein mieser Abknicker, was gute Vorsätze angeht. Aber dieser war mir wirklich wichtig. Und obwohl ich extrem überzeugt war, habe ich mich nicht dogmatisch gezwungen. Ich lasse mir selbst meinen freien Willen. Deshalb halte ich durch.

Das, was ich im letzten Jahr ganz bewusst in meinem Kopf verändert habe, hat sich in der fleischfreien Periode automatisch manifestiert. Während ich es früher noch sinnlos fand, im Restaurant das einzige vegetarische Gericht zu bestellen – es kam mir immer vor wie ein abgespecktes Langweilermenü, das ich ja auch zuhause kochen könnte -, sehe ich jetzt nicht mehr, wozu ich unbedingt Fleisch bestellen sollte. Natürlich gelüstet es mich manchmal nach dem BBQ-Rindfleischburger mit Bacon. Aber ich frage mich jetzt immer: Ist es das wert? Beim Burger bedeutet die Entscheidung dagegen eine kleine Überwindung, die ich vor allem dadurch packe, dass es Alternativen gibt, die ich neu entdecken kann. Bei undefinierbar fleischigen Maultaschen, Prosciutto auf der Pizza oder pappiger Currywurst? Wird Fleischessen plötzlich unfassbar sinnlos.

Veggie Bowl
[Ein bisschen Klischee muss sein: Vegan Buddha Bowl]

Vegetarierin auf Zeit – oder jetzt so richtig?

Ob ich jetzt Vegetarierin bin, ist eine gute Frage. Ich habe mich in den letzten Monaten manchmal so genannt – oder die Nachfrage bejaht -, in Situationen, in denen es unkomplizierter war, mir das allgemeine Label aufdrücken zu lassen, als irgendwem meine persönliche Geschichte aufzutischen. Im Moment möchte ich mir den Titel “Vegetarierin” aber selbst nicht geben.

Dass ich keine Vegetarierin sein möchte, hat mehrere Gründe. Erstens, weil es ganz egoistisch gesehen einfach nervt, in eine Schublade gesteckt zu werden, über die man dann auch noch bei Tisch diskutieren muss. Es ist wirklich lästig, wie die fleischfreie Ernährung zum Tischthema wird, sobald man sich zu ihr bekennt. Und ja, das passiert ständig! Lasst mich doch einfach in Ruhe essen und spart mir eure Belehrungen, eure Urteile oder – das sind die schlimmsten – eure halbherzigen Rechtfertigungen, nach denen ich nie gefragt habe. Anstatt zu sagen “Ich bin Vegetarierin” sage ich deshalb lieber “Ich esse/möchte kein Fleisch”. Ein marginaler Unterschied, aber manchmal einer, der einem die Diskussion spart. Und der wahr ist. Denn dem Vegetariertitel fühle ich mich nach gerade drei Monaten auch noch gar nicht würdig. Und zu guter Letzt – bin ich mir nicht sicher, ob ich wirklich nie mehr Fleisch essen will.

Protest muss nicht immer radikal sein.

Ich verzichte bisher auf Fleisch, weil ich protestieren will. Gegen ein System, in dem es bei ALDI 600g Schweinenackensteak für 1,99€ gibt. Und gegen die Bedingungen, die hinter einem solchen System stehen. Stehen müssen. Gegen den Schaden, den wir unserer Erde antun, indem wir Kühe für den menschlichen Konsum züchten, die für mehr Treibhausemissionen zuständig sind als der gesamte Transportsektor. Und gleichzeitig Futterflächen beanspruchen, die uns den Regenwald kosten und mit deren Ertrag wir mehrfach(!) alle(!) Hungernden dieser Welt ernähren könnten.* Dieses Übermaß und die allseits verbreitete Unwissenheit darüber sind doch einfach zum Kotzen.

Mäßigung ist mein Stichwort. Ich finde den Gedanken, vielleicht doch ein Bio-Schweineschnitzel im Quartal genießen zu wollen, nicht abgrundtief böse. Ob ich diese Idee in die Tat umsetzen werde, weiß ich noch nicht. Ich bewundere auch jeden, der vollständig auf Fleisch verzichtet. Aber vielleicht ist das für mich ganz persönlich nicht der Punkt. Nicht das eine, ausgewählte Stück Fleisch ist verwerflich. Verwerflich fände ich es, Fleisch weiter unbewusst und unmäßig in mich reinzustopfen, weil es dazugehört und sich überall anbietet. Ich wäre ab jetzt offiziell enttäuscht von mir selbst, wenn ich mir alle zwei Wochen spontan aus Heißhunger eine Bratwurst reinziehen würde. Aber ein Hackfleischtaco in Mexiko, wenn ich es irgendwann mal da hin schaffe? Ist für mich eine andere Geschichte. Weil der einen ganz anderen Wert für sich beanspruchen kann.

Die Massentierhaltung kippe ich nicht, indem ich auf diesen einen Taco in Mexiko verzichte. Ich fange an, daran zu rütteln, wenn Edeka in der Osterstraße das ganze Jahr über kein Fleisch an mich verkauft. Damit setze ich mein Statement.

minimalistisch und vegetarisch leben
[Minimalistisch vegan: Spaghetti Aglio Olio]

Mein Style? Babysteps.

Es gibt viele Angriffspunkte für ein nachhaltigeres, ökologischeres und gütigeres Leben. Ich denke, niemand schafft alle gleichzeitig – oder er schafft eben sonst nichts mehr. Wichtig finde ich, dass man trotzdem anfängt. Und sich dann langsam steigert, bis man bei seinem persönlichen Maß angekommen ist, mit dem man leben kann und will. Ich bin, was den Veganismus angeht, vielleicht bei 70 Prozent – er ist ein Aspekt, bei dem ich mir keine Perfektion abverlange. Nicht zuletzt, weil ich zurzeit auf Lebensmittelunverträglichkeiten getestet werde und der Schreckenskandidat Fructose hoch im Kurs steht. Wenn sich dieser Verdacht bewahrheiten sollte… habe ich ehrlich gesagt eine ziemlich komplexe, neue Baustelle und schäme mich nicht dafür, bei der alten wieder ein bisschen zurückzufallen. Nein, ich bin (noch) keine Vegetarierin – aber ich wehre mich trotzdem gegen den alltäglichen Fleischkonsum. Für manche ist das schwer zu verstehen.

Menschen denken in Stereotypen. Das ist so, weil selbst die Sprache nichts anderes erlaubt. Jedes Wort, jede Bezeichnung – ist am Ende eine Schublade. Mich selbst “Vegetarierin” zu nennen, würde mich einer Gruppe zugehörig machen. Jeder Eintritt in eine Gruppe ist gleichzeitig eine Abgrenzung von denjenigen, die nicht zu dieser Gruppe gehören. Aus einer losen Ansammlung von Menschen wird ein “Wir” und ein “Ihr”. Und das ist doch eigentlich ziemlich schade.

“Aber du lebst doch vegan, oder?” “Nein, ich esse nur sehr wenig Fleisch.” Stirnrunzeln, verwirrtes Schweigen. Fast muss ich lachen. Muss man denn immer ein Extrem leben, um etwas bewusst und absichtlich zu tun? Muss es immer “ganz oder gar nicht” sein, um logisch zu bleiben? Ich denke nicht. Vielleicht ist es inkonsequent, dass ich keine “richtige” Vegetarierin oder gar Veganerin bin. Vielleicht hilft es aber auch irgendwie. Weil ich mich noch nicht offiziell abgegrenzt habe. Aber mich trotzdem mit Vegetariern und Veganern solidarisiere – und beim Mittagessen über diese Ernährungsweisen und ihre Vorteile aufkläre, wenn ich mal die Geduld dazu habe und jemand mir sein offenes Ohr hinhält.

*Dokumentation “Cowspiracy”, zu sehen hier oder auf Netflix.