Warum “Aufräumen mit Marie Kondo” nicht dein Leben verändert

Seit dem ersten Januar läuft “Aufräumen mit Marie Kondo” auf Netflix. Die Dokuserie besteht aus acht Folgen, in denen der japanische Star US-amerikanischen Klienten zeigt, wie man ein Haus entrümpelt. Ich habe mir die Show angesehen und drei Gründe gefunden, warum du deine Zeit lieber anderweitig nutzen solltest.
Nach 20 Minuten hätte ich schon gerne abgeschaltet. Ich fand die Serie von Anfang an langweilig und auf seltsame Art unkonkret. Nach 2 oder 3 Folgen wurde mir klar, warum: Was Menschen an Geschichten fesselt, sind immer die anderen Menschen. Wenn ich mir schon acht Folgen zur gleichen Makeover-Methode anschauen soll, dann erwarte ich Charakter. Entweder von den Porträtierten, oder vom Protagonisten. Serien wie Queer Eye leben vom Charme ihrer Darsteller. Marie Kondo ist überdurchschnittlich fröhlich, wiederholt in jeder Folge ihren Lieblingssatz “I loooove mess” und erzählt zwischendurch leicht esoterisch von der richtigen Raumluft. Ansonsten erfährt man nahezu nichts von ihr. Es purzeln keine Lebensweisheiten aus ihr oder den Porträtierten – und das Potential wäre da, man findet nämlich Menschen in den verschiedensten Lebenssituationen, die beim Aufräumen entsprechend emotional werden.
Konflikte beim und über das Aufräumen werden zwar gezeigt, lösen sich aber immer magisch, also ohne einen erkennbaren Moment der Einsicht, auf. Wie auch sonst – Marie Kondo ist nämlich gar nicht da. Sie kommt nur am Anfang vorbei und lässt sich am Ende jeder Folge für das Ergebnis feiern. Was Marie Kondo für gelegentliche Einblender bereit hält, geht über Kalendersprüche und Falttechniken höchstens insoweit hinaus, dass es anmaßend wird. So erklärt sie zu Beginn der Witwenfolge, dass man den Schmerz der Vergangenheit beim Ausmisten lindern kann und dass sie überzeugt ist, dass es im Leben ihrer Klientin nachher sogar noch mehr Freude geben wird. Ok, wow. Das ist auf eine Art noch härter als die endlos stereotypen Rollenbilder, die Kondo auch schon in ihrem Buch mit unnötigen Ratschlägen wie diesem zementiert:
“If you are a woman, wear something feminine or elegant as nightwear. The worst thing you can do is wear a sloppy sweat suit.”
The Life-Changing Magic of Tidying, p.80
Says who?
Inhaltlich soll sich “Aufräumen mit Marie Kondo” um die von ihr entwickelte Methode zum Ausmisten und Aufräumen drehen. Das Versprechen: Wenn du ein Mal alles nach der KonMari Methode aufgeräumt hast, musst du es nie wieder tun. Das kann schon deshalb nicht funktionieren, weil Menschen, Interessen und Lebenssituationen sich nun einmal verändern, aber davon mal abgesehen. Heruntergebrochen geht KonMari so: Stelle dir das Leben, das du demnächst führen willst, möglichst genau vor, und behalte es die ganze Zeit im Hinterkopf, während du dein Zuhause neu ordnest. Dann miste chronologisch in diesen 5 Kategorien aus:
Die Besitztümer aus jeder Kategorie werden an einem Ort auf dem Boden versammelt, damit du einen Eindruck davon bekommst, wie viel du hast. Kategorien, die unübersichtlich sind, werden in Unterkategorien geteilt.
Jetzt nimmst du jeden Gegenstand in die Hand und fühlst nach, ob das Betrachten Freude in dir auslöst (“Does it spark joy?”). Was Freude bringt, bleibt, was nicht, geht.
Was der Kern der KonMari Methode sein soll, ist das am wenigsten Sinnvolle daran. Ich glaube kaum, dass ich 13 halb ausgeleierte Unterhosen einzeln in die Hand nehmen muss, um zu wissen, dass ich zumindest einige davon behalten muss, wenn ich nicht für 150€ neue shoppen will. “Freude” ist ein gutes Tool, um einige Lieblingssachen intuitiv aus dem Stapel zu ziehen und so eine erste Auswahl zu treffen. Danach versagt es. Es verführt sogar: leidenschaftliche Minimalisten wie mich zum Wegwerfen von Brauchbarem, heimliche Sammler zum Behalten von allem. Wie soll jemand, dem das Loslassen von Besitz schwer fällt, je reduzieren, wenn er jeden Nippes mit “Freude” rechtfertigen kann statt mit Bedarf oder regelmäßiger Nutzung?
Genau diese Schwierigkeit zeigt sich auch in der Serie, in der Partner ihre Massen an Kram voreinander regelmäßig mit “joy” rechtfertigen und dabei fast selbst lachen müssen. 13 Kaffeebecher pro Person – na, wenn das nicht froh macht. Am Ende sind all die riesigen amerikanischen Häuser aufgeräumt – und zwar mit vielen, vielen Aufbewahrungslösungen, die eher nach aufwändiger Verstauung aussehen als nach effektiver Reduktion.
Es bleibt das Gefühl, dass Marie Kondos Klienten wenig bis gar nichts über ihr Verhältnis zu Besitz lernen und sich damit unter der Oberfläche wenig ändert. Zwar lassen sie sich erklären, wie man ausmistet, wie man alle möglichen Kleidungsstücke hübsch faltet, dass Boxen und Aufteilungen übersichtlicher wirken als zusammengeworfene Haufen, und dass jeder Gegenstand ein “Zuhause” haben soll. Aber niemand sagt ihnen, was das Aufräumen leisten kann, und was nicht. Alle glauben am Ende, dass sie dank KonMari nun ihr Leben im Griff haben, und mehr: Beziehungen laufen wieder, die Kinder sind lieb und vor allem das Selbst ist so viel besser, weil es endlich gelernt hat, ordentlich zu sein. Naja: Es sieht jetzt halt besser aus.
Dass der Vater beeindruckt davon ist, weil die Bude des inzwischen erwachsenen Sohnes anders aussieht als damals sein Kinderzimmer (so geschehen in Episode 5), heißt noch lange nicht, dass dessen Entwicklung abgeschlossen wäre. Die Erklärungen, wie geläutert sich die Porträtierten mit der nun sauberen Wohnung fühlen, und wie krass sie ihren persönlichen Reifegrad daran festmachen, treiben einem beinahe die Tränen in die Augen. Weil sie so dermaßen an die alte Scheinweisheit “Kleider machen Leute” erinnern – Besitz bedeutet Identität, Ordnung bedeutet Kontrolle. Was für ein leeres Versprechen.
Wer denkt, dass er erwachsen ist, sobald er ein einheitliches Besteckset besitzt, glaubt einem Konsummärchen. Eine herausgeputzte 3-Zimmer-Wohnung ist kein Reifemerkmal, sondern ein Oberflächentrick. Reif ist nicht, wer über altersgemäße Statussymbole verfügt und gelernt hat, alles ordentlich in die vorgesehenen Schubladen zu legen, sondern, ganz grob gesagt, wer reflektiert mit sich und anderen umgeht. Egal, wie er sonst lebt.
Ausmisten ist toll, weil du deinen Kram danach wiederfindest und ihn im besten Fall so sortiert hast, dass du schnell danach greifen kannst. Das Entrümpeln kann oben drauf einen Anstoß bieten, sich mit dem eigenen Lebensstil auseinanderzusetzen. Es kann zeigen, womit du deine Zeit verbringst und welche Hobbies du längst aufgegeben hast, wofür du gerne Geld ausgibst und an welcher Stelle du es verschwendest, welcher Stil dir gefällt und wie du nach außen wirken willst. Aber wer ein besserer Mensch werden will, muss sich ein bisschen mehr anstrengen. Oder beim Sockenfalten gründlich nachdenken.
Marie Kondo. The Life-Changing Magic of Tidying. Ebury Digital, 2014. (Kindle Edition).
Aufräumen mit Marie Kondo. Staffel 1. Netflix, 2019.
© Der abfotografierte Screen im Titel unterliegt dem Copyright von Netflix.
19 Comments
Hui, das nen ich einen ordentlichen Verriss.
Schön zu lesen und nachvollziehbar. Ich denke die Serie kann ich mir sparen.
Danke!
Ich hab die erste Folge nach 10 Minuten abgeschaltet. Wie du sagst, da kam kein Charakter durch und dann frage ich mich wirklich, wozu es die Sendung gibt – es sollte ja wohl keine 8 Folgen einer Fernsehsendung brauchen, um die doch recht simple KonMari Methode zu kommunizieren.
Persönlich finde ich die Methode ziemlich gut. Ich hab damals ihr Buch gelesen als ich in ein viel kleineres Zimmer gezogen bin und stark reduzieren musste; ich habe gelernt auszusortieren und loszulassen und wende die Methode auch weiterhin an. Ich falte allerdings meine Socken nicht, und ich verabschiede mich auch nicht einzeln von jedem Objekt bevor ich es los werde.
Es ist so viel gemeckert worden über die KonMari Methode in letzter Zeit, was ich seltsam finde. Das sind doch alles keine festen Regeln – man muss für sich selbst sehen welche Aspekte funktionieren und welche nicht, und einige Menschen tun fast so als ob man morgens mit nem Pferdekopf im Bett aufwacht wenn man nach dem Entrümpeln noch mehr als fünf Bücher hat.
Aber wenn man das ‘Spark Joy’ Prinzip allgemein im Leben anwendet, dann wird bei mir diese Sendung aussortiert 😀
Das mit dem Pferdekopf sieht in meiner Vorstellung so viel amüsanter aus, als es jemals sein könnte… 😀
Hey Sabine, danke für deine kritische Art die Dinge zu beobachten. Das tut mir, die ich oft viel zu unreflektiert und über-enthusiastisch ist, sehr gut! Ich habe, nachdem ich ein paar Folgen geschaut habe, auch mal versucht, mit ihrer Methode zu arbeiten, aber bin schon bei der Kleidung gescheitert. Kleidung ist für mich notwendig, ich brauche halt zwei Hosen, aber sie machen mir keine Freude… Naja, wie auch immer, deine Texte sparken bei mir auf jeden Fall viel joy! Liebe Grüße von Anna
Hey Anna,
ich finde, da sprichst du einen ganz wichtigen Aspekt an, den ich so bisher nicht formulieren konnte: Wieso muss uns alles, was wir haben, überhaupt Freude machen? Verstärkt diese Maxime nicht erst recht eine Fixierung auf Materielles?
Danke für die Anregung!
Sabine
Liebe Sabine,
lovelovelove für diesen Artikel, mal wieder.
Ich muss sagen: Ich bin sehr neidisch auf deine Fähigkeit, komplexe Sachverhalte sprachlich so schön pointiert darzustellen. Gerade habe ich meinen Artikel über selbstoptimierungsgesteuerten Minimalismus fertig geschrieben und er ist gefühlt dreimal so lang geworden. Ich brauche einfach immer ewig, bis ich alles gesagt habe! 😀
(Selbstredend werde ich diesen Artikel darunter verlinken. 🙂 )
Danke dir für deine klugen Gedanken.
Liebe Grüße an dich!
Jenni
Liebe Jenni,
dankedankedanke – mal wieder 😉
Ich bin sehr gespannt auf deine Perspektive; ich war eben schon ein wenig enttäuscht, weil ich dich so verstanden hatte, dass der Artikel schon online ist. Ich hoffe, bald!
xx Sabine
Starker Post!
Ich muss ja gestehen: ich hab noch nie ein Video von ihr geschaut, kein Buch über ihre Methoden gelesen, noch die Netflix Serie geschaut. Was du da beschreibst, bestätigt nur ein bisschen meinen Eindruck, den ich von Erzählungen usw. her schon gewonnen habe. Also irgendwie scheint mir das so ein aufgeblasener Hype ums Aufräumen zu sein?! Irgendwie schwer zu beschreiben. Vielleicht liegt’s aber auch daran, dass ich an sich recht aufgeräumt bin und den Sinn dahinter eh nicht so ganz sehe…
Ich muss sagen ich hab mir auch ein paar Folgen von Marie Kondo auf Netflix angeschaut. Und mich auch meine Gedanken (https://uponmylife.de/ausmisten/) dazu gemacht. Mich hat vor allem gestört, dass die Müllberge einfach vorgeschafft werden. Nur einmal wurde wirklich darauf hingewiesen und gezeigt, dass man die alten Sachen auch spenden kann. Tatsächlich ändern tut sich im leben der Teilnehmer wahrscheinlich wirklich nichts. Da bin ich deiner Meinung. SIe haben Hilfe bekommen beim Ausmisten – aber weniger einkaufen tun sie wahrscheinlich nicht. Ich vermute, dass deren Wohnungen bald wieder so aussehen wie davor. Ich bin ganz deiner Meinung.
Liebe Grüße, Christine
Ich unterstreiche jedes einzelne Wort dieser Kolumne. Habe zwei Bücher von Marie Kondo gelesen und bin nun im Antimodus. Was wird den Leuten nur für ein Mist vorgesetzt. Vernünftiges Aufräumen hat man 2003 schon bei simplify your life nachlesen können und dass der gesamte Globus jetzt eine japanerin hyped, wo man weiss wie oberflächlich dieses Volk ist (ich war gerade selbst in Japan). Gründen wir bitte eine Gegengruppe zu diesem Konmariwahn, ich bin dabei !
Liebe Heike,
dein Kommentar war vermutlich gut gemeint. Aber dass du in Japan warst und wir beide das Schaffen einer prominenten Japanerin kritikwürdig finden, berechtigt dich nicht, ein ganzes “Volk” mit einem Vorurteil zu belegen. Davon distanziere ich mich ausdrücklich.
Liebe Sabine! Danke für den Post. Er ist wirklich super, ich habe auch viel an der Methode zu knabbern. Ich habe Dinge die keine Direkte freude in mir auslösen, die ich aber einfach brauche. Geschirr etc. Auch das bloße wegwerfen macht mich wütend. Da achtet man lieber beim Kauf besser drauf. Ich muss aber sagen, ich falte meine Kleidung jetzt auch senkrecht in Schubladen, das fand ich wirklich hilfreich.
Ich habe das Hörbuch von Marie Kondo mehrmals durchgehört und vieles ausgemistet. Aber nicht radikal, wie sie es beschreibt. Ich bin froh, mich von manchen Sachen zu trennen, die mir überhaupt nicht nützlich sind und nur den Platz beeinspruchen. Ohne Marie Kondo wäre es nicht möglich gewesen. Z. B. Geschenke von Freunden oder Familienmitgliedern. Nachdem ich meine z. B. Socken mit Ihrer Methode aufbewahre, habe ich keine mehr gekauft. Erstens es ist sehr übersichtlich, also habe ich genug. Und zweitens sie gehen seitdem (es sind schon 1,5 Jahre) überhaupt nicht kaputt!!
Hallo,
bin heute auf diesen blog gestoßen. Ist der noch aktiv? Jedenfalls fand ich den Verriss von KonMari super. Bin viel auf solchen blogs – meist als stumme Mitleserin – und fühle mich von Marie Konbdo einfach nur vera….t. Zum Glück hatte ich ihr Buch (allerings nur das zweite) aus der Bibliothek. Es hätte mir sehr leid um das geld getan. Wie Du schon schreibts: Ausmisten tut gut, klar. Ist aber nicht die Lösung. KG aus Erfurt