“Vom Glück, allein zu sein” – der Titel schwirrte schon in meinem Instagram Feed herum, Monate bevor das dazugehörige Buch von Marie Luise Ritter (@luiseliebt) erschien. Er setzte sich in meinem Kopf fest und hörte sich dort irgendwie ironisch an. Denn das öffentliche Zelebrieren eines fröhlichen Single-Lifestyles kommt mir manchmal vor wie eine neue Maxime. Ist das hilfreich – und wenn ja, für wen?

Offensichtlich suchen viele Frauen einen Weg, unabhängig glücklich zu sein. Einige von ihnen schreiben darüber. Ich unterstütze das. Im Patriarchat ist die Unabhängigkeit von einer romantischen Beziehung gelebter Widerstand. Es ist durchaus empowernd, sich nicht von Tinder-Tobi und Bumble-Ben abhängig zu machen und das eigene Ding durchzuziehen. Aber ist es so einfach?

Ich habe in den letzten Monaten zwei Bücher zu dem Thema gelesen, und kam dabei unweigerlich ins Vergleichen. Es geht um das genannte Buch von Marie Luise Ritter, erschienen im Juli 2023, und um “Die Singuläre Frau” von Katja Kullmann aus 2022.

Was bedeutet “allein sein”?

In beiden Büchern geht es darum, als Frau allein zu sein. Wobei “allein sein” bei Kullmann bedeutet, keinen romantischen Partner zu haben und auch keinen in der Zukunft zu erwarten. Bei Ritter heißt es… ja, was eigentlich? Auch sie ist für den Großteil ihrer Geschichte Single. Aber eigentlich dreht sich fast das ganze Buch ums Alleine reisen. Das könnte als Metapher gemeint sein, aber es wirkt auf mich eher wie das liebste Hobby der Autorin. Und dem geht sie nun eben allein nach.

Ein Suchergebnis für “Solo Travel” auf Unsplash, von Ivana Cajina

Wie erzählt man das Leben allein?

Was Ritter beschreibt, ist… schön. Es macht Lust, den Rucksack zu packen und loszuziehen – wenn man sich traut und es sich leisten kann. 

„Am nächsten Morgen wache ich von den Sonnenstrahlen auf, die meine Nasenspitze kitzeln, und sehe mich in meinem Apartment um. Ich fühle mich mit einem Mal ganz bei mir. Als wäre ich mitten in einer Meditation. Als hätte ich mich eingefunden im Rhythmus dieser Stadt. Ich bin genau im richtigen Moment am richtigen Ort. Wehmütig schließe ich noch einmal meine Augen. Ich denke oft darüber nach, dass wir die guten Momente nicht erkennen, wenn sie da sind, sondern meist erst im Nachhinein. Jahre später fällt uns auf: »Mensch, war das ein guter Urlaub.« »Die Wohnung damals, das war wirklich die schönste, in der ich je gewohnt habe.« oder »Meine Studienzeit war die beste Zeit in meinem Leben.« Ohne in dem Moment, in dem wir mittendrin stecken, zu realisieren, dass das hier gerade die beste Zeit ist.“

“Vom Glück, allein zu sein” S. 25

Einige der Reisen sind als alleinreisende Frau nicht selbstverständlich, andere sind zumindest mit sozialen Ängsten verbunden. Ritter teilt ihre Triumphe über diese Angst, reißt aber auch die Schwierigkeiten auf dem Weg an. Es ist nicht “good vibes only”. Es bleibt dennoch ein freundliches Buch, auch ein privilegiertes. Obwohl ich gleich alt bin und ein ähnliches Leben führe(n könnte), habe ich mich der Autorin selten nahe gefühlt. Immer wieder schneidet sie emotionale Momente oder prägende Ereignisse an, geht dann aber nicht tiefer. Es wirkt manchmal, als würde sie nicht die ganze Geschichte erzählen.

Was Kullmann beschreibt, ist klar und bestimmt. Es ist ein Manifest für die unabhängige Hetero-Frau, die sich nicht um jeden Preis an einen Mann binden will – die stattdessen erkannt hat, dass das Leben ohne romantische Beziehung eine gutes sein kann. Kullmann ist zeitweise komisch (haha-komisch, nicht komisch-komisch). Sie gibt sich keine Mühe, die Realität zu verklären – sie macht den Scheinwerfer an und richtet ihn sowohl auf das Leben allein, als auch auf das Leben mit Männern. Ihr Buch zu lesen fühlte sich an, wie mit einer wahnsinnig klugen, älteren Freundin am Küchentisch zu sitzen.

Wie sieht das soziale Netzwerk aus?

Beide Bücher sprechen von Einsamkeit, nicht von Sozialer Isolation. Das heißt, die Autorinnen sind sozial eingebunden. Sie haben Familie, Freunde, Bekannte, Nachbarn. Wie sich das Leben mit diesen Kontakten gestaltet, unterscheidet sich allerdings: während Ritter abgesehen von einer einmaligen Covid-Isolation permanent von Menschen umgeben zu sein scheint und lernen muss, sich Zeit für sich zu nehmen, merkt Kullmann selbst im lebensentwurfdiversen Berlin, dass es Ü40 schwieriger wird, einen Platz im Leben der verpartnerten Freunde zu bekommen. Und hier liegt auch der Unterschied für die Einsamkeit: es ist relativ leicht, sich nicht einsam zu fühlen, wenn das Alleinsein nur eine von vielen Optionen ist.

Wer jederzeit eine Freundin anrufen kann, wer bei einer Covid-Erkrankung Suppe vor die Tür gestellt bekommt und mehrfach täglich Nachfragen erhält, ob es langsam besser geht – der fühlt sich sicher trotzdem einsam, wenn er isoliert ist, und manchmal auch, wenn nicht. Aber wie verloren muss sich jemand fühlen, der solche Passagen liest und denkt: das alles habe ich nicht. Ich bin immer allein. Im aktuellen Diskurs um die Einsamkeit auf Instagram, und auch in Ritters Buch, wirkt es manchmal so, als gäbe es die andere Einsamkeit, die Soziale Isolation, gar nicht. Ich würde mir von Autorinnen, die übers Alleinsein schreiben, einen sensibleren Umgang mit denen wünschen, die nicht so einfach aus ihrer Einsamkeit heraustreten können. 

Welche Rolle spielen Männer?

Es ist auch leicht, sich bewusst für eine Zeit als Single zu entscheiden, wenn das nächste Date nur einen Swipe entfernt ist. Dass dem so ist, macht Marie Luise Ritter immer wieder klar. Männer sind für sie einfach: verfügbar. Aber sie werden zur Nebensache erklärt. Dabei wird leider auch die Kritik an ihnen übergangen. Zum Beispiel, wenn der Typ, der sich gerade überlegt mit ihr fremd zu gehen und seine Gewissensbisse performativ ausspricht, während er bereits auf ihrem Sofa liegt, als besonders “verletzlich” gefeiert wird. Oh boy. 

Katja Kullmann ist radikaler. Sie datet nicht, und wenn sie auf der Suche ist, dann nur danach, was Weiblichkeit abseits der typischen Rolle bedeuten kann. Mit der “Singulären Frau” bezeichnet sie ein Lebensmodell, das man wählen oder in das man hineingeraten kann, aber das im Zweifelsfall immer besser ist, als sich an irgendeinen Mann zu binden. Ihre Kritik an patriarchaler Männlichkeit: messerscharf.

Man spürt, dass Ritter nicht davon ausgeht, Single zu bleiben. Kullmann schon. Im Prinzip sind sie sich dennoch einig: beide wollen die Frau allein als vollständige Person verstanden wissen, die romantische Beziehungen und Familienplanung nicht ins Zentrum ihrer Lebensrealität stellen muss. Allein schon deshalb, weil sie manchmal gar nicht die Wahl hat. Auch wenn das mit 30 offenbar sehr anders aussieht als mit 50.

Wohin mit der Einsamkeit?

Beide Autorinnen betonen den Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein. Die Unterscheidung ist nicht irrelevant, kann aber ad absurdum geführt werden. So wird bei Marie Luise Ritter aus Einsamkeit der Drang, ihre Zeit allein immer optimal zu füllen. Wenn dabei schlechte Gefühle aufkommen, begegnet sie ihnen mit Schnittblumen oder einem Teller Bolognese. Aus ihrem Alleinsein wird regelmäßig: losziehen, neue Freunde finden, ein paar Tage mit einem neuen Date verbringen… und sich dann erst wieder zurückziehen. Wenn sie ihre Einsamkeit dabei je wirklich fühlt, dann erzählt sie es nicht. Sie schreibt gegen Ende zwar noch: man muss lernen, die Einsamkeit auszuhalten. Ja. Aber wie?

Eine klare Antwort darauf gibt auch Katja Kullmann nicht. Vielleicht, weil es das Rezept nicht gibt, vielleicht, weil beide Bücher keine Anleitung sein wollen. Bei Kullmann waren die Alltagsschilderungen für mich nachvollziehbarer. Auch, weil sie in einem gewöhnlicheren Umfeld passieren. In beiden Büchern fand ich die Momente allein zuhause authentischer als die Reisen, die Parties und die Café-Besuche.

“Single Apartment” auf Unsplash, von Patrick Perkins

Die Single-Wohnung kann ein Rückzugsraum sein, aber eben auch eine emotionale Falle. Sie ist der einzige Ort, an dem selbst Ritter zugibt: “Ich suche die Zimmerdecke nach Antworten ab. Als wäre etwas in mir kaputtgegangen. (…) Es ist ein kaltes Gefühl, das in mir hochkriecht.” Es ist der vielleicht düsterste Moment in ihrem Buch.

Kullmann macht an mehreren Stellen deutlich: sie fühlt die Einsamkeit regelmäßig. Sie muss sie nicht mehr wegerklären, oder vor ihr weglaufen. Sie hat sie als Teil des Lebens als Singuläre Frau – überhaupt als Teil eines jeden Lebens – anerkannt. Im Umgang mit der Einsamkeit ist das das wichtigere Learning.

Im Umgang mit dem Alleinsein kann man das machen, was Marie Luise Ritter macht: die Zeit mit sich selbst zelebrieren. Und wenn die Einsamkeit dann trotzdem kommt, ist das ganz normal und eben kein Anzeichen dafür, dass man sich nicht ausreichend durchoptimiert hat.

Welche Perspektive inspiriert mich?

Bei Ritters Buch war mir bis zum Ende nicht ganz klar, für wen es geschrieben ist. @luiseliebt hat derzeit 58K Follower auf Instagram; ihre Beiträge zum Buch erhalten begeisterte Kommentare. Es gibt also durchaus Frauen, denen es gut tut, zu hören: mach was aus deiner Freiheit und deinen Privilegien. Trau dich, auch alleine eine gute Zeit zu haben.

Eines der ersten Suchergebnisse für “Single Woman” auf Unsplash, von Pricilla du Perez

Ich persönlich brauche das nicht mehr. Offensichtlich kann ich alleine ins Restaurant gehen, alleine reisen und all das auch gut finden. Das Alleinsein deshalb grundsätzlich als “Glück” zu verklären und die “Zeit allein” von vornherein als Phase zu definieren, ist mir trotzdem zu wenig. Es hinterlässt den Eindruck, dass auf das Gefühl der Einsamkeit ein instagrammable Label geklebt werden soll – wird schon, geht auch wieder vorbei, und sieht doch eigentlich ganz nett aus hier mit den Blumen. Ich kann der Autorin daraus keinen Vorwurf machen: es ist eben so in ihrem Leben. Ihre Perspektive ist valide. Sie deckt nur nicht das ab, was mich interessiert.

Ich wünsche mir mehr Berichte von Frauen, die alleine sind und damit langfristig umgehen. Ich will wissen, wie es ist, sich dafür zu entscheiden. Ich will die Perspektive von Katja Kullmann, die Ü40 realisiert, dass ihr Beziehungsstatus keine Phase mehr ist. Ich will die Inspiration von Deborah Levy, die Ü60 davon träumt, jeden Morgen neben ihrem eigenen Haus schwimmen zu gehen. Ich will wissen, wie es wäre, längerfristig allein zu sein. Und in meiner Überzeugung bestärkt werden, dass das manchmal sicher ein einsames, aber garantiert kein bemitleidenswertes Leben wäre.